Sebastian Wächter
"Barrierefrei im Kopf" ist das Motto von Sebastian Wächter. Als Coach und Speaker unterstützt er Menschen darin, Veränderungsprozesse erfolgreich in Gang zu setzen.
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Bereit für Veränderung
Veränderungen geschehen immer – doch wie wir damit umgehen und inwieweit wir selbst willentlich Veränderungen in Gang setzen, ist eine Frage des persönlichen Mindsets. Sebastian Wächter ist Experte in Sachen Veränderung: Ausgelöst durch einen schweren Schicksalsschlag, die Querschnittslähmung nach einem Wanderunfall, durchlebte er seinen ganz persönlichen Veränderungsprozess auf dem Weg in die wiedergewonnene Selbstbestimmtheit. Als Coach und Speaker gibt er seine eigenen Erfahrungen und Erkenntnisse weiter und hilft Unternehmen wie Privatklienten, „Barrierefrei im Kopf“ zu werden und Veränderungsprozesse erfolgreich zu meistern. Im Interview haben wir unter anderem über die aktuelle Situation, Veränderungen und Herausforderungen für Vertriebsmitarbeiter und Verkäufer im Außendienst gesprochen.
Sebastian – Veränderungen sind ja ein weites Feld. Es gibt persönliche, innere Veränderungen, dann haben wir die Digitalisierung, die jetzt durch Corona nochmal einen neuen Schub bekommen hat… Deshalb meine erste Frage an dich: Wovon sprechen wir überhaupt, wenn wir von Veränderungen reden? Meinen wir das, was ohne unser Zutun erfolgt, meinen wir plötzliche Ereignisse und Schicksalsschläge, wie bei dir – oder Veränderungen, die wir selbst bewusst herbeiführen? Was sind für dich Veränderungen?
Für mich gibt es drei Arten von Veränderungen. Die erste ist die Entwicklung, das Leben, die hat fast etwas Evolutionäres. Dann gibt es die Veränderung, die von außen auf einen zukommt. Das sind die Schicksalsschläge, die äußeren Einflüsse – bei mir war es der Querschnitt, jetzt ist es Corona. Die Digitalisierung ist so ein „Semiding“ – sie ist eine Entwicklung, wird aber auch als äußerer Einfluss wahrgenommen. Irgendwann muss sie umgesetzt werden. Inzwischen ist die Digitalisierung der natürliche Lauf der Dinge, im Leben vieler Menschen allerdings nicht. Deshalb wird sie jetzt als Veränderung von außen wahrgenommen. Die dritte Art von Veränderung ist die, dass man sich selbst verändern will. Aktiv. Man will zum Beispiel abnehmen, an seiner Beziehung etwas verändern, karrieretechnisch weiterkommen oder sich finanziell verbessern. Kommen wir gleich mal zum Vertrieb, insbesondere dem operativen. Der erlebt ja ständig – und während des Lockdowns ganz besonders – Veränderungen von außen. Die Kunden verhalten sich anders, sie kaufen anders, persönliche Kontakte konnten einige Zeit überhaupt nicht stattfinden. Was hat ein Verkäufer für Möglichkeiten der eigenen, bewussten Veränderung, Mitgestaltung, wenn ständig Veränderungen „draußen“ geschehen? Der Kern, der Beginn von Veränderung, ist, Bewusstsein dafür zu entwickeln. Jemand merkt: Hier tut sich was! Die Kunden verändern sich, sie verhalten sich anders, andere Verkäufer, Kollegen machen etwas anders – dann ist es ja nicht mehr so, wie es mal war. Wenn ich mir das bewusst gemacht habe, kommt der entscheidende Schritt, die Akzeptanz. Jeder Verkäufer kann sich entscheiden, was er damit macht, ob er sich mit den Veränderungen beschäftigt oder ob er sich sagt: „Das ist eine Modeerscheinung, ich ziehe weiterhin mein Ding durch, das hat schon immer funktioniert.“ Damit trennt sich schon die Spreu vom Weizen. Sagt jemand auch emotional „Ja“ zur Veränderung oder geht er in die Verleugnung? Bei mir war das mit dem Querschnitt so: Das Bewusstsein war natürlich da, ich konnte mich ja nicht mehr bewegen. Allerdings hat es mehrere Jahre, gedauert, bis ich gesagt habe: „Ja, das ist jetzt so, ich nehme das an.“ Erst dann kann ich sagen: „Jetzt verändere ich etwas.“ Bei einem so heftigen Schicksalsschlag, wie er dir widerfahren ist, rechnet vermutlich niemand damit, dass die Akzeptanz sofort da ist. Speziell im Vertrieb muss es ja immer irgendwie weitergehen und die Verkäufer müssen konkrete Ergebnisse, Abschlüsse, Zahlen liefern. Wenn das nicht gelingt, weil die Akzeptanz für Veränderungen fehlt, ist es irgendwann zu spät. Was rätst du hier? Wie viel Zeit darf sich jemand geben? Da ist natürlich jeder Mensch unterschiedlich, manche Leute sind schneller, manche langsamer. Je früher sich jemand mit Veränderungen befasst und sie akzeptiert, umso schleichender wird sein eigener Veränderungsprozess, es ist mehr eine Entwicklung. Je länger jemand wartet, umso radikaler muss er sich verändern, weil sich so viel angestaut hat. Deshalb ist es sinnvoll, nach und nach etwas Neues in den Arbeitsalltag zu integrieren und dafür auch mal ein oder sogar zwei Stunden am Tag zu investieren. Ich kann zum Beispiel ausprobieren, mich über Google zu positionieren, ich kann mich mit Bloggen und Content befassen, ich kann über Xing und LinkedIn Leute anschreiben und schauen, wie das funktioniert. Oder ich kann Facebook-Ads schalten – wenn ich das nach und nach mache, ist das ein vergleichsweise natürlicher Prozess. Wenn ich allerdings ein totes Pferd reite, bis es umfällt, muss es plötzlich sehr schnell damit gehen. Noch ein Tipp: Wenn ich merke, dass ich mich schwer mit etwas Neuem tue, kann ich mir Input von außen holen. Vielleicht habe ich einen Kollegen, der das gut hinbekommt, oder ich spreche darüber mit dem Verkaufsleiter. Oder mit einem Externen. Wichtig ist zu schauen: Welche Handlungsmöglichkeiten habe ich? Oft scheitert es nicht an den Handlungsmöglichkeiten, sondern am Umsetzen. Bei der Umsetzung möchte ich gleich mal einhaken. Da kommt ja die berühmte Komfortzone ins Spiel, nach dem Motto: „Eigentlich weiß ich das, aber trotzdem konnte ich mich noch nicht dazu aufraffen.“ Also mit anderen Worten: Geht es jemandem, der noch in der Komfortzone ist, noch zu gut, um ins Handeln zu kommen? Braucht es einen Aufrüttler, ein Schockerlebnis? Das muss nicht sein, oft ist es allerdings so. Viele Leute zum Beispiel stellen ihr Leben erst um, wenn sie einen Herzinfarkt hatten, sie hören erst dann auf zu rauchen, ernähren sich gesünder und trinken weniger Alkohol. Die Umstellung kommt, wenn man handeln muss. Präventiv beziehungsweise proaktiv wird selten gehandelt, obwohl da die Veränderung deutlich einfacher wäre. Denn wir haben sehr viele Möglichkeiten, uns hinters Licht zu führen. Glaubenssätze funktionieren da sehr gut: „Ich bin halt nicht so der digitale Mensch, ich kann das nicht so gut…“ – Das höre ich etwa häufig. Da sage ich: „Nein, du willst das nicht. Du willst dich nicht damit beschäftigen.“ Das ist der entscheidende Change-Punkt. Glaube ich, dass meine Fähigkeiten fix sind oder dass sie entwickelbar und dynamisch sind? Wenn ja, muss ich sie auch angehen. Wenn ich das erste Mal etwas ausprobiere, bedeutet das immer Unsicherheit, die Wahrscheinlichkeit zu scheitern und Fehler zu machen. Da werden gern Gedankenkonstrukte zusammengestellt, warum wir nicht ins Handeln kommen. Doch in Wirklichkeit sind sie nur Ausreden. Und wie kann dann jemand ins Handeln, in die Umsetzung kommen – ganz freiwillig und ohne Schockerlebnis? Wenn ich für mein Handeln Verantwortung übernehme, warte ich nicht, bis ich etwas tun muss. Dann bin ich proaktiv, nicht reaktiv. Bei mir war es so, dass ich lange Zeit die äußeren Umstände für meine Situation, im Rollstuhl zu sitzen verantwortlich gemacht habe. Ich habe mich in die Opferrolle begeben: „Warum passiert mir das? Jetzt kann ich nicht mehr wandern, ich kann nicht Auto fahren, ich bin auf Hilfe von anderen angewiesen…“ – Das ist das krasse Gegenstück zur Selbstverantwortung. Doch wenn ich den Gedankenschritt hinbekomme: „Wie schaffe ich es trotzdem, wieder selbstständig zu werden?“, dann muss ich mir eingestehen, dass ich mich die ganze Zeit selbst belogen habe. Ich habe mich nicht getraut, ich habe im Außen gesucht statt in mir. Um wieder auf den Verkäufer zurückzukommen, der vielleicht darüber jammert, dass er nicht mehr zum Kunden gehen kann und über Skype verkaufen muss: Statt sich zu sagen „Ich kann nur persönlich verkaufen“, kann er die Situation akzeptieren und Selbstverantwortung übernehmen: „O.k., es ist so, wie es ist – wie kann ich lernen, über Skype zu verkaufen?“ – Das ist dann die berühmte Extrameile. Damit sind wir bei der Motivation: Warum will ich etwas verändern? Ist es für mich existenziell, muss ich das tun – oder tue ich es, weil ich es will? Mit dem Wollen ist das ja so eine Sache – ich zum Beispiel bin ziemlich perfektionistisch veranlagt und kenne das Problem, häufig zu viel von mir zu wollen – und wenn ich das nicht so schaffe, wie ich es mir vorstelle, bin ich unzufrieden und gebe mir die Schuld. Zu sagen: „Es liegt in meiner Hand, es liegt an mir“ ist etwas anderes als zu sagen: „Ich bin schuld.“ Perfektionismus an sich ist weder gut noch schlecht, er kann allerdings zur Barriere werden. Die Angst, Fehler zu machen, ist bei Perfektionisten groß und kann verhindern, ins Handeln zu kommen. Für mich stellt sich deshalb immer die Frage, inwieweit etwas eine Barriere darstellt. Das gilt übrigens auch umgekehrt: Wenn jemand sagt, dass er keinen Sport macht und damit gesund und glücklich ist, bin ich der Letzte, der sagt, er solle daran etwas verändern. Wird die körperliche Trägheit allerdings zur Barriere, dann schon. Um wieder zum Vertrieb zurückzukommen: Wenn ein Verkäufer von sich sagt: „Ich habe meine Stärke im Eins-zu-Eins-Verkauf“, ist das vollkommen in Ordnung. Hindert ihn diese Einstellung daran, sich für neue Themen, wie der Digitalisierung von Verkaufsgesprächen, zu öffnen, dann wird sie zur Barriere. Wie offen sind Verkäufer nach deiner Erfahrung für neue Themen und Veränderung? Wie erlebst du deren Akzeptanz? Ich habe vor ein paar Wochen eine Keynote für einen Versicherer gehalten – der Schwerpunkt war die Digitalisierung im Außendienst. Da tun sich manche Vertriebler schwerer, manche leichter. Die Versicherungsbüros bekommen die Infrastruktur und Unterstützung vom Versicherer, sie können jedoch aktiv entscheiden, inwieweit sie diese in Anspruch nehmen. Das heißt, sie sind sehr stark in der Eigenverantwortung. Manche sind darin sehr gut, sie sind aktiv in Google, Facebook und Content-Marketing. Für andere ist dies extremes Neuland. Manche befinden sich auch noch mitten im Generationenwechsel, oft sind die Agenturen Familienbetriebe, die übergeben werden. Da gibt es extrem viel Konfliktpotenzial und ein richtiges Veränderungs-Tohuwabohu. Man merkt deutlich, dass viele sich verändern müssen, auch, weil der Versicherer die Ziele hochschraubt. Dabei gibt es immer Vorreiter, aber auch wirklich viel Schmerz. Lässt sich das auch auf andere Branchen übertragen? Oder gibt es da wieder ganz andere Herausforderungen? Im Juli habe ich bei einer Optikerkette eine Keynote zum Thema Corona und New Normal gehalten. Da war die Zielgruppe eine Ebene über den operativen Verkäufern, also Filial- und Gebietsleiter. Bei diesem Kunden war es so, dass er die schnellen Veränderungen, einschließlich Sicherheitsvorkehrungen für die Mitarbeiter, sehr gut hinbekommen hat. Trotz Corona konnte er die Läden offenhalten und die Mitarbeiter haben sehr viel geleistet in dieser Phase. Von daher ist da eine gewisse Dankbarkeit vorhanden. Auf der anderen Seite geht es jetzt darum, sich in diese neue Normalität hineinzufinden und die KPIs rücken wieder mehr in den Fokus. Momentan besteht die Herausforderung darin, die Balance zwischen der Dankbarkeit und Wertschätzung für die Mitarbeiter und dem Fordern von Kennzahlen und Verkaufszahlen zu finden. Und eben nicht Corona als Ausrede für verpasste Umsätze zu benutzen. Also auch eine Herausforderung auf zwischenmenschlicher Ebene. Interessant – ein ganz anderer Aspekt. Generell habe ich den Eindruck, dass das Thema Change Management in den Köpfen vieler Führungskräfte problembehaftet ist. Man rechnet schon damit, dass es Konflikte mit den Mitarbeitern gibt – und es wird sehr viel Projektaufwand betrieben. Wie siehst du das? Vorbereitung an sich ist ja nicht schlecht – ein vorbereiteter Veränderungsprozess, der sich mit Eventualitäten beschäftigt, klappt schon mal besser als ohne. Was ich natürlich auch bemerke und kritisch sehe, ist, dass viel zu schnell Veränderungen mit dem großen Begriff „Change“ beschrieben werden. Das erzeugt eine gewisse Überdrüssigkeit bei den Mitarbeitern. Deshalb sage ich: Vorbereiten, sich mit dem Thema beschäftigen und Eventualitäten berücksichtigen, ja – und dann überlegen, wie man das Ganze nach außen kommuniziert. Und ob das wirklich ein Großprojekt werden muss, oder ob man das nicht auch im kleinen Rahmen regeln kann. Generell finden Veränderungen immer häufiger schneller und kleinteiliger statt. Deshalb plädiere ich in meinem neuen Buch für ein Change Mindset: Also die Mitarbeiter dahingehend zu entwickeln, dass sie Veränderungen auch im Kleinen selbst angehen, sich selbst organisieren und nicht wieder ein großes Change-Projekt von der Lanze zu brechen. Großprojekte sterben meiner Meinung nach immer mehr aus. Also kein Veränderungswahn mehr? Veränderungswahn – das beinhaltet eine Wahnvorstellung. Die Veränderung ist ja da, ich kann sie nicht wegdiskutieren. Die Frage ist: Wie nehme ich sie wahr? Ist sie mein Gegner? Oder ist sie ein natürlicher Begleiter? Ich finde, es wird viel zu viel Augenmerk auf die Veränderung gelegt – und zu wenig auf das Ergebnis geschaut, den Fortschritt. Das sollte meiner Meinung nach mehr in den Mittelpunkt kommen, auch im Vertrieb: Ich zum Beispiel mache nicht Content Marketing, weil ich das muss, sondern ich mache es, weil ich damit ab einem bestimmten Punkt mehr Umsatz generiere. Es kommt auf den Fokus an. www.barrierefrei-im-kopf.de
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