Claudia Kimich
Claudia Kimich ist Diplom-Informatikerin und Verhandlungsexpertin. Sie coacht aus Leidenschaft – stets provokativ-konstruktiv, mit dem Ziel klar vor Augen.
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„Hochansteckend zuversichtliche Grüße“
Home-Office und räumliche Distanz verschärfen Konflikte – oder bringen sie erst ans Tageslicht. Claudia Kimich ist Coach – und von Haus aus provokativ-konstruktiv sowie fast immer positiv. Mit ihr habe ich über Chefs mit Kontrollzwang gesprochen, nicht genügend wertgeschätzte Vertriebsmitarbeiter, aber auch über die eigenen Glaubenssätze.
Frau Kimich, noch immer arbeiten viele Menschen vom Home-Office aus – manche haben damit überhaupt kein Problem, andere leiden sehr darunter. Wie erleben Sie die Situation bei sich selbst und Ihren Klienten?
Ich coache natürlich jetzt viel per Video – doch ich finde schon, dass das anstrengender ist, als wenn ich die Klienten persönlich treffe oder mit ihnen telefoniere. Vor allem, wenn ich einen Video-Call nach dem anderen habe. Bei den Klienten ist es unterschiedlich: Manche sind durchaus froh, wenn sie mal etwas Abstand zu den Kollegen haben und sie nicht den ganzen Tag sehen – andere wiederum haben das Problem, dass der Chef offensichtlich einen Kontrollzwang hat und alle halbe Stunde anruft. Das meinen Sie jetzt aber nicht wörtlich? Doch, das gab es wirklich. Die Klientin wäre fast wahnsinnig geworden, weil sie ständig aus ihrer Arbeit herausgerissen wurde. Immer dann, wenn sie sich gerade wieder eingearbeitet hatte und voll konzentriert war, hat schon wieder das Telefon geklingelt. Glücklicherweise hat sie gelernt, Grenzen zu setzen und konnte sich so mit dem Chef darauf verständigen, dass er nur noch einmal pro Tag anruft. Haben Sie denn öfters solche Extremfälle? Naja, die Leute haben ja einen guten Grund, ein Coaching zu buchen. Im Moment fällt auf, dass viele Führungskräfte von der Situation überfordert sind. Führen aus der Distanz – das habe sie nicht gelernt. Vor allem die, die sehr autoritär sind und alles kontrollieren wollen, kommen damit überhaupt nicht klar. Sie rufen viel zu oft an, weil sie meinen, die Mitarbeiter müssten beschäftigt und kontrolliert werden. Oder sie schreiben Mails mit fünf Ausrufezeichen – da fällt es doch etwas schwer, die Anweisung oder Nachfrage wohlwollend zu interpretieren. Das heißt, sie vergreifen sich im Ton? Manche ja. Es ist oft so, dass die räumliche Trennung die Kommunikation erschwert und mehr Raum für eigene Interpretationen lässt. Das gilt für beide Seiten. Deshalb ist es wichtig, genau hinzuschauen und zu unterscheiden zwischen dem, was tatsächlich gesagt oder geschrieben wurde, und dem, was die andere Seite möglicherweise hineininterpretiert. Gerade wenn die Stimmung angespannt ist, kommt es verstärkt zu solchen Interpretationen. Die nehme ich dann im Coaching auseinander. Wir schauen gemeinsam, was der Eigenanteil ist und was der Fremdanteil. Insgesamt finde ich, dass die Krise bereits vorhandene Konflikte verschärft. Das wird jetzt sehr deutlich. Und im Vertrieb? Da ist es jetzt besonders gruselig, wenn jemand so einen Kontrollfreak als Chef hat. Manche Chefs haben immer schon die Kontrolle anhand der Anzahl der Besuche, der Gespräche usw. festgemacht. Darüber bin ich immer wieder entsetzt, ich coache ja viele Vertriebler. Ich finde, spätestens jetzt ist es Zeit, dass Vertriebschefs kreativer und flexibler werden. Viele Vertriebler werden total gegängelt, noch immer glauben die Chefs, der Weg zum Umsatz müsse vorgegeben sein. Wenn sie den wirklichen Top-Verkäufern mehr Freiraum lassen würden, hätten sie erstens weniger Probleme mit der Fluktuation und zweitens wären sie noch viel erfolgreicher, wenn sie ihre ganzen Möglichkeiten ausschöpfen. Manche Chefs sind auch zu kleinlich mit der Vergütung – wenn jemand 20.000 Euro mehr im Jahr möchte, der knapp drei Millionen Umsatz bringt – dann sollte das einem doch wert sein. Ansonsten ist der Verkäufer schnell weg – habe ich gerade erst live erlebt. Überhaupt finde ich, dass noch in vielen Unternehmen die Wertschätzung für die Verkäufer fehlt. Da braucht es deutlich Veränderung. Wenn ein Vertriebsleiter jetzt hergeht und meint, er müsse die Außendienstler auch noch im Home-Office besonders kontrollieren, dann geht das zu weit. Die meisten können sehr gut selbstständig und eigenverantwortlich arbeiten, das tun sie ja sonst auch. Und wenn die Umsätze stimmen – so what, lasst die Menschen doch ihren Job machen. Sie sagten vorhin, dass sich Konflikte jetzt verschärfen – das scheint hier ja auch der Fall zu sein… Es gibt die ganze Bandbreite – sowohl im Positiven als auch im Negativen. Wer auch sonst nicht bereit war für konstruktive Lösungen, bei dem sorgt die Krise erst recht für eine Verhärtung. Wenn Strukturen schon vorher verkrustet waren, ist es jetzt kaum möglich, sie aufzulösen – da bleibt für viele nur die ernsthafte Suche nach einem neuen Job. Gerade im Vertrieb müssen sich die Top-Leute kaum Sorgen machen, eine neue Stelle zu finden – zufriedene Kunden gibt es genügend, und denen kann man nicht verbieten, dem Verkäufer zu folgen. Dann trifft auch der Satz „Konkurrenz belebt das Geschäft“ noch deutlicher zu. Früher konnte ein Vertriebler ja nicht einfach seine Kundendatenbank mitnehmen – heute ist ohnehin fast jeder auf Xing und LinkedIn mit seinen Kunden vernetzt, da hat man keinerlei Probleme mit der DVSGO. Es ist völlig legal, die Beziehung aufrechtzuerhalten. Apropos soziale Netzwerke – da gibt es ja auch die ganze Bandbreite an Emotionen… Allerdings, da merke ich schon gewisse Aggressionen, gerade auch, wenn jemand positive Neuigkeiten von sich postet. Da kommen dann schon mal gereizte Kommentare nach dem Motto: „Ja, bei dir klappt das ja immer, du musst dich nicht anstrengen…“ – da achte ich jetzt noch mehr als sonst darauf, was ich so von mir mitteile, und empfehle das auch wärmstens allen anderen. Die einen sind jetzt unglaublich kreativ, stellen binnen kürzester Zeit Lösungen auf die Beine – und die anderen, das sind halt die Dauergrantler, die lieber in ihrem Loch sitzen bleiben und jammern. Zu denen gehören Sie ja glücklicherweise nicht… Ich akquiriere das ganze Jahr über neue Aufträge und kümmere mich um meine Kunden und Klienten. Schließlich bin ich Unternehmerin, nicht Unterlasserin! Ich persönlich mache mir keine Sorgen um die Zukunft: Ich habe im August ein Seminar mit zehn bis zwölf Leuten – das geht auf jeden Fall. Wir können das in einem großen Konferenzraum mit entsprechend Abstand durchführen. Was allerdings auch noch interessant ist: Vor der Krise haben bei mir von acht bis zehn Anfragen etwa drei bis fünf zum Auftrag geführt. Jetzt ist es so, dass ich zwar nur noch die Hälfte an Anfragen bekomme – die allerdings führen in den meisten Fällen auch zum Auftrag. Das heißt, meine Effizienz hat sich wesentlich erhöht: Auch ein schöner „Krisengewinn“. Effizienz ist ein gutes Sichtwort – führt die Krise zu effizienterem Arbeiten? Und wie wird es danach aussehen mit der Effizienz? Klar, wie viele stundenlange Live- Besprechungen gehen jetzt per Video plötzlich kompakt in einer Stunde… Ich glaube ganz sicher, dass auch danach viele unnötige Reisen gestrichen werden, weil deutlich geworden ist, dass sich zum Beispiel Vorgespräche mit Verkäufern oder auch Bewerbern für eine Stelle ganz hervorragend per Video-Call führen lassen. Und ich kann mir gut vorstellen, dass es künftig mehr Kreativräume, also telefonfreie Büros, geben wird, in denen die Mitarbeiter mehrere Stunden komplett ungestört arbeiten können, weil das die Konzentration und damit die Effizienz immens erhöht. Insgesamt denke ich, dass der menschliche Anteil und die persönlichen Beziehungen wieder mehr Gewicht bekommen. Und dass es ein starkes Bedürfnis geben wird, sich zu treffen. Das wird vielleicht seltener sein als vorher, doch dafür bewusster und intensiver. Es menschelt also wieder mehr? Das tut es im Moment auch – und da treten diese beiden Pole, also Pessimist – Optimist oder Schmerzvermeidung – Lustgewinn ganz besonders stark hervor, es gibt wenig dazwischen. Übrigens schreibe ich gerade konsequent unter jede Nachricht „Hochansteckend zuversichtliche Grüße“ – und ganz viele schreiben dann zurück: „Oh Gott, bist du krank?“ – Da lache ich jedes Mal laut auf, denn darin drückt sich genau das aus – ob ich das Positive, also das Zuversichtliche sehe, oder nur das „Hochansteckende“ – und das natürlich in Verbindung mit Corona. Dann haben Sie gleich wieder einen guten Aufhänger für ein Coaching… Stimmt, das ist eine neue Akquisemöglichkeit, werde ich gleich überdenken…Ich finde, es ist eine Frage der eigenen Glaubenssätze. Ich kann immer mit dem Schlimmsten rechnen und mich darauf fokussieren, ich kann aber auch zuversichtlich und optimistisch sein. Das bin ich – und damit stecke ich die anderen sehr gern an, damit sie ihre negativen Glaubenssätze erkennen und lernen, sie durch positive zu ersetzen. www.kimich.de
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