Miriam Hohenfeldt
„Handeln mit Begeisterung“ ist das
Motto von Miriam Hohenfeldt. Sie ist zertifizierter Coach (ICF) und Intervall System Trainerin (INtem). |
„Es gibt auch viel Positives“
Die Coronakrise trifft den stationären Handel mit voller Wucht. Wer nicht gerade lebensnotwendige Dinge wie Lebensmittel und Hygieneprodukte verkauft oder gar auf Laufkundschaft angewiesen ist, sieht sich vielfach in einer existenzbedrohenden Situation. Doch auch für Industrie- und Dienstleistungsunternehmen ist nicht immer absehbar, ob und wie es für sie weitergehen wird – insbesondere bei Mittelständlern und kleinen, inhabergeführten Unternehmen. Gibt es auch Lichtblicke? „Auf jeden Fall“, sagt Miriam Hohenfeldt, die als Trainerin und Coach viel im Handel unterwegs ist. Grund genug für ein Interview, das Mut machen soll.
Frau Hohenfeldt, auf eine Situation wie wir sie jetzt haben, war wirklich niemand vorbereitet. Vieles von dem, was man vorher für wichtig hielt, rückt jetzt plötzlich in den Hintergrund. Auf der anderen Seite werden plötzlich Dinge realisierbar, die vorher als unrealistisch galten. So zum Beispiel, dass man sämtliche Dienstreisen streicht und die Meetings online stattfinden lässt. Das sollte einem schon zu denken geben…
Dass 95 Prozent aller Flüge gestrichen sind, ist in der Tat eine Situation, die fast schon surreal anmutet. Doch ich finde es unglaublich, in wie kurzer Zeit jetzt plötzlich Aktionen gestartet werden, um Geschäftspartnern, Kunden und Kollegen zu helfen. Das finde ich großartig, es wird enorm viel Kreativität freigesetzt. Und das alles, ohne dass man sich persönlich trifft, sondern man kommuniziert nur über Skype, Zoom oder Google-Hangouts – oder eben per Telefon. Auch vom stationären Handel erreichen mich Meldungen, dass jetzt sogar kleine Händler, die bislang keinen eigenen Online-Shop hatten, diesen binnen einer Woche gestemmt haben. Oder dass sie provisorisch eine Bestellannahme per Telefon oder E-Mail eingerichtet haben und die Waren ausliefern. Der Digitalisierung wird die Corona-Krise sicherlich noch einen weiteren Schub geben. Von daher wird dieses Thema in der nächsten Zeit nochmals an Bedeutung gewinnen. Und ich hoffe, dass jetzt wirklich auch die übrigen Händler aufwachen und es schaffen, sich zu digitalisieren, denn – das ist auch klar – wer jetzt nicht gut aufgestellt ist, für den sieht es ganz schlecht aus. Wird die Coronakrise eine Konsolidierung herbeiführen, vor allem im stationären Handel? Ja, das wird sicherlich so kommen. Ich rechne aber auch damit, dass es bald viele Neugründungen gibt, neue Geschäftsmodelle, die durch die Krise entdeckt oder sogar erst ermöglicht werden. Danach wird es eine Riesenwelle geben, davon bin ich fest überzeugt. Andere Unternehmen werden schrumpfen – das Wort „gesundschrumpfen“ erscheint jetzt natürlich zynisch für die Betroffenen, doch wenn man ehrlich ist, dann ist es genau das, was passieren wird. Der Markt reguliert sich von selbst. Ich selbst erschrecke schon, wenn ich höre, dass Cafés, Bäckereien und Restaurants, die ja immerhin einen Lieferdienst einrichten dürfen und Backwaren vor Ort abverkaufen können, sagen, dass sie schon nach einer Woche nicht wissen, wie sie überleben sollen. Das heißt ja, es sind keinerlei Rücklagen vorhanden. Ein gesundes Unternehmen ist doch in der Lage, eine „Zwangsschließung“ von zwei bis vier Wochen zu überstehen – auch wenn die Personalkosten und die Miete natürlich weiterlaufen. Dass die Eigenkapitalquote im Mittelstand und bei kleinen Unternehmen nicht besonders hoch ist in Deutschland, wissen wir. Doch diejenigen, die vorher gut dastanden, die immer schon nah am Kunden waren und sich sehr schnell auf veränderte Kundenbedürfnisse und Kaufgewohnheiten eingestellt haben, die werden jetzt dafür belohnt und müssen sich weniger Sorgen um ihre Existenz machen. Bei denen, die bereits vorher schon von der Hand in den Mund gelebt haben, zeigt sich das natürlich jetzt umso deutlicher. Aber ich freue mich doch zu sehen, wie schnell jetzt neue Projekte zustande kommen. Viele Restaurants haben z.B. sofort einen Lieferdienst eingerichtet, das finde ich großartig. Es ist also doch auch vieles plötzlich möglich! Von daher braucht es manchmal einen Schock, um aufzuwachen und ins Handeln zu kommen bzw. Entscheidungen zu treffen und umzusetzen. Dass dabei manche auf der Strecke bleiben werden, ist leider auch Realität. Es gibt also durchaus Positives zu berichten… Auf jeden Fall. Und es ist immer entscheidend, worauf wir unseren Fokus richten. Zustandsmanagement ist übrigens jetzt ganz wichtig, gerade auch für Firmenchefs und Führungskräfte, die ja ihren Mitarbeitern, die vielleicht Angst um ihren Arbeitsplatz haben, sagen müssen, wie es weitergeht. Der Hausarrest kommt vielleicht etwas plötzlich, doch er ist auch eine Riesenchance, weil die Leute runterkommen, mehr Zeit für sich selbst haben, sich wieder auf das Wesentliche besinnen. Und ich finde, man darf auch mal dankbar sein dafür, dass wir in einem Land leben und arbeiten, in dem so vieles gut läuft. Dass so schnell konkrete Hilfsfonds und Hilfsaktionen gestartet wurden und Unternehmen schnelle Hilfe zuteilwerden kann, das ist doch großartig. Wir werden nicht allein gelassen, und das stimmt mich froh und optimistisch. Offensichtlich haben wir in Deutschland doch vieles richtig gemacht, sonst hätte man nicht so große Töpfe, die man öffnen kann. Selbst in der Hotellerie, die besonders hart getroffen ist, werden Ressourcen für kreative, spontane Projekte freigesetzt. Es gibt ja das Sprichwort „Unter Druck entstehen Diamanten“ – da ist schon was dran. Manchen kommt es allerdings schon hart an, dass sie jetzt zuhause sein müssen und nicht unterwegs sein können – auch der Außendienst im Vertrieb erlebt eine schwierige Zeit. Das ist richtig, und auch das ist, wie ich finde, etwas, über das es sich lohnt, einfach mal nachzudenken. Warum macht es mir soviel aus, wenn ich jetzt niemanden besuchen oder persönlich treffen darf? Warum ist es für mich so schlimm, wenn ich zuhause sein muss? Welches sind meine Werte? Wenn der höchste Wert Freiheit ist – ja, dann ist das jetzt ein tiefer Eingriff. Das sollte man für sich klären und reflektieren, was Freiheit für einen persönlich bedeutet. Vielleicht denkt man auch mal an diejenigen, die sogar permanent in ihrer Freiheit beschnitten sind und sich niemals frei bewegen oder entscheiden können. Wenn ich das in Relation zu meiner eigenen Situation setze, relativiert sich vieles – und vielleicht fühle ich mich dadurch sogar innerlich freier. Um wieder auf den Vertriebler, den Außendienstmitarbeiter zurückzukommen: Auch im Vertrieb steht alles in Relation. Ein Preis erscheint geringer, wenn ich einen höheren danebenstelle. Und so ist es mit allem. Jetzt wäre die Chance, sich in Achtsamkeit und Empathie zu üben. Vielleicht entdeckt man dann, dass es einem gar nicht so schlecht geht, sondern im Gegenteil, ziemlich gut im Vergleich zu anderen. Insgesamt finde ich tatsächlich, dass die meisten Leute, die ich erlebe und von denen ich höre, doch recht gelassen mit der Situation umgehen. Also Reflexion und Empathie statt Versuche, auch in der Krise etwas zu verkaufen? Das kommt natürlich darauf an, was ich verkaufe, in welcher Branche ich tätig bin und wie es aktuell bei meinen Kunden und in deren Branche aussieht. Auf jeden Fall ist jetzt sicherlich die beste Zeit für Beziehungsmanagement. Wer schon vorher eine gute Kundenpflege betrieben hat, der wird das auch jetzt tun, selbst wenn aktuell keine Investitionsentscheidungen getroffen werden können und auch nicht absehbar ist, wann das wieder der Fall sein wird. Ich bin mir sicher, dass eine gute Kundenbeziehung auch schwere Krisen überdauern kann. Vielleicht dauert es etwas länger, bis man wieder konkrete Aufträge schreibt, doch diese Zeit sollte man nutzen, um seinen Kunden zu zeigen, dass man jetzt erst recht für sie da ist. Vielleicht kann man schnell und unbürokratisch mit seinem Know-how oder Netzwerkpartnern helfen, zum Beispiel im IT-Bereich. Gerade da sind jetzt schnelle, unbürokratische Lösungen und technisches Know-how gefragt. Den Kontakt sollte man auf alle Fälle weiter aufrechterhalten – nur eben mit der nötigen Achtsamkeit für die jetzt aktuellen Bedürfnisse der Kunden. Dass wir alle nicht wissen, wie es weitergehen wird, wie lange die Krise noch dauern wird und wie es danach aussehen wird, schafft menschliche Nähe, auch wenn wir räumlich voneinander getrennt sind. Und wie gesagt, danach wird es sicherlich eine Riesenwelle geben – jetzt hat man die Möglichkeit, sich vielleicht neu auszurichten, spontan neue Maßnahmen umzusetzen, bei denen man vorher nicht in die Gänge kam, um dann wirklich auch auf dieser Welle mitzuschwimmen – egal, wann sie kommt. www.network-angel.de
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