Franziska Brandt-BieslerFranziska Brandt-Biesler ist Coach und Verkaufstrainerin. Seit 20 Jahren begleitet sie Teams im technischen Vertrieb.
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Zeit für gute BeziehungenHome-Office statt Außendienst – die Krise stellt den Vertrieb vor ungeahnte Herausforderungen. Vertriebstrainerin und Coach Franziska Brandt-Biesler findet das gar nicht so schlecht. Mit ihr habe ich über Video-Calls und Effizienz gesprochen, aber auch über Kaltakquise und Beziehungspflege in Zeiten von Corona.
Frau Brandt-Biesler, bei vielen Vertriebsmitarbeitern und Führungskräften im Vertrieb herrscht momentan eine große Unsicherheit. Auch was die eigentliche Vertriebsarbeit betrifft: Halten Sie es für sinnvoll, die Zeit im Home-Office verstärkt für Akquisetelefonate zu nutzen? Oder ist das keine gute Idee, zumal ja jetzt viele Investitionen ohnehin nach hinten verschoben wurden?
Es kommt darauf an, was man mit diesen Telefonaten bezweckt. Jetzt bei Neukontakten mit einer konkreten Verkaufsabsicht anzurufen – davon würde ich im Moment tatsächlich abraten. Es sei denn, man hat das Glück und erwischt tatsächlich jemanden, der gerade konkreten Bedarf hat. Das gibt es zwar auch, doch wenn ich nicht gerade eine entsprechende Branche bediene, würde ich die Zeit lieber für den Kontaktaufbau und die Beziehungspflege mit Bestandskunden nutzen. Wenn ich gleich zu Beginn meines Anrufs kläre, dass ich gar nicht über Aufträge sprechen möchte, sondern dass ich einfach nur hören will, wie es meinem Kunden jetzt in dieser Situation geht, ist das eine vollkommen andere Basis. Wenn mir jemand sagt, dass ich in einem halben Jahr wieder anrufen soll, ist das vollkommen in Ordnung. Ich darf nur keinerlei Druck ausüben, das ist wichtig. Das klingt ziemlich entspannt – steht jetzt der Vertrieb nicht ganz besonders unter Druck? Ich erlebe viele Vertriebsleiter, die ziemlich busy sind und das an ihre Mitarbeiter weitergeben. Sie meinen, nur weil ihre Verkäufer und Außendienstmitarbeiter im Home-Office sitzen, hätten sie nichts zu tun und müssten beschäftigt werden. Dem ist nicht so. Ich höre oft, dass die Vertriebsmitarbeiter sogar sehr viel zu tun haben. Und dass sie plötzlich sehr viel mehr schaffen als sonst, einfach auch weil die viele Reisezeit wegfällt. Sie können effizienter und konzentrierter arbeiten und haben trotzdem mehr Zeit. Wie lässt sich die gewonnene Zeit sinnvoll nutzen? Sie sprachen ja von Beziehungspflege. Wie kann diese jetzt aussehen? Ich würde im Vertrieb genauso wie bisher die bestehenden Kundenbeziehungen pflegen – auch oder gerade die Kontakte, bei denen jetzt Aufträge verschoben wurden. Ich bin ja selbst in der Situation, dass Verkaufsseminare abgesagt wurden. Manchen Kunden ist das sehr unangenehm. Wenn sie merken, dass ich sie deswegen nicht als „wortbrüchig“ oder unzuverlässig einordne und Verständnis für ihre Situation habe, können wir weiter in Kontakt bleiben. Dieses Menschliche, dieses Verständnis füreinander ist doch das, was gute Beziehungspflege ausmacht. Auch wenn man aktuell als Vertriebsmitarbeiter keine Aufträge schreibt, so kann man doch dafür sorgen, dass man den Kunden auf positive Weise präsent bleibt. Wenn man jemandem in irgendeiner Weise behilflich sein kann, zum Beispiel durch Vernetzung, Empfehlung, Information – was auch immer – dann sollte man diese Gelegenheit nutzen. Ich bin mir sicher, dass sich der Kunde auch nach der Krise daran erinnert, wenn es wieder um konkrete Aufträge geht. Überhaupt empfehle ich jedem Verkäufer, seine Adressen durchzugehen und gerade die Kontakte anzurufen oder anzumailen, mit denen man schon längere Zeit nichts mehr zu tun hatte. Die Krise ist ein guter Anlass, um wieder miteinander ins Gespräch zu kommen – von Mensch zu Mensch. Ans Verkaufen sollte man jetzt erst mal nicht denken? Ich sage nicht, dass das Verkaufen jetzt unmöglich ist. Es kommt darauf an, welche Kunden und Branche ich bediene. Zum Beispiel in der Baubranche gibt es nach wie vor viel zu tun, es besteht also weiterhin Bedarf an Material und Zulieferteilen. Ich höre auch von Kunden, dass sie weniger Einbußen haben, als erwartet. Man braucht also nicht mit der Einstellung heranzugehen, die Krise aussitzen zu müssen. Was raten Sie denn den Vertrieblern, deren Kunden jetzt tatsächlich schwer von der Krise getroffen sind, wie beispielsweise die Gastronomie, der Tourismus oder Messeveranstalter? Sollte man sich jetzt nicht besser nach neuen Zielgruppen umsehen? Solche strategischen Überlegungen sind auf jeden Fall nützlich und es schadet auch sonst nicht, darüber nachzudenken, welche Branchen man zusätzlich bedienen könnte, wo es also noch Potenzial gibt. Die bestehenden Kunden darf man allerdings nicht vernachlässigen, die gehen vor. Zusätzlich kann man virtuelle Teambesprechungen natürlich auch sehr gut nutzen, um sich über strategische Fragen auszutauschen. Denn es geht ja auch darum, wie man grundsätzlich weitermacht. Die Krise ist bestimmt nicht nach drei Monaten vorbei. Bis man wieder ohne Einschränkungen Kunden besuchen kann, wird es sicherlich noch länger dauern. Von daher ist die Digitalisierung und damit einhergehend die Modernisierung des Vertriebs ein wichtiges Thema. Ich würde es sehr begrüßen, wenn auch nach der Krise viel mehr Video-Calls statt Außendienstbesuche stattfinden würden. Das wäre ein großer Effizienzgewinn, vom Umwelt- und Klimaaspekt einmal ganz abgesehen. Der klassische Außendienst, der den ganzen Tag unterwegs ist, wird ja schon längere Zeit infrage gestellt… Das Thema hatte ich mir drei Monate vor Corona selbst schon vorgemerkt: Ich finde, dass diese vielen, teilweise stundenlangen Fahrten zu Kunden ohnehin nicht mehr zeitgemäß sind. Wenn ich selbst Außendienstmitarbeiter begleite, sitzen wir ungefähr zwei Drittel der Arbeitszeit im Auto. Und auch das restliche Drittel der Arbeitszeit kann nicht vollständig für Kundengespräche genutzt werden, denn Außendienstmitarbeiter haben ja auch administrative Aufgaben. Oft sind es nur 20 Prozent reine Verkaufszeit pro Woche. Viele Verkäufer machen Überstunden, weil sich so viel Büroarbeit angestaut hat. Sie sitzen abends und am Wochenende am Schreibtisch, um das abzuarbeiten, was sie eigentlich während ihrer Arbeitszeit hätten erledigen sollen. Jetzt, im Home-Office, erleben sie, dass es auch anders geht, und zwar viel effizienter. An Video-Calls haben sich die meisten Außendienstler inzwischen gewöhnt und sie stellen fest, dass es durchaus eine sinnvolle Alternative zum persönlichen Treffen ist. Nur haben sie Video-Calls die ganze Zeit nicht genutzt, weil sie es nicht mussten. Jetzt haben sie keine andere Wahl… Genau. Sie wurden aus ihrer Komfortzone herausgekickt und merken, dass es auch anders geht. Ich erlebe das auch bei meinen Coaching-Klienten: Manche konnten sich einfach nicht vorstellen, sich per Video-Call coachen zu lassen, sie haben lieber lange Anfahrtswege in Kauf genommen. Jetzt sind mache richtig überrascht, wie gut Coaching auch digital funktioniert. Man muss nur einmal seine inneren Widerstände überwinden, dann merkt man plötzlich, dass manches sogar leichter wird. Alle Gespräche lassen sich aber nicht digitalisieren – oder? Jetzt auch speziell im Vertrieb. Wenn es um die Begutachtung von Mustern geht, also die Haptik eine wichtige Rolle spielt, ist der persönliche Besuch nicht zu ersetzen. Es sei denn, man kann die Muster schicken. Anders ist es beim Kennenlernen, beim Vertrauensaufbau und bei der Kundenpflege. Ich finde, dass ein Gespräch, bei dem man sich sieht, eine ganz andere Qualität hat als ein Telefonat. Akquisetelefonate sind meistens recht kurz. Deshalb empfehle ich, möglichst schon zum zweiten Kontakt den Gesprächspartner zu einem Video-Call einzuladen. Das hat aus meiner Erfahrung eine höhere Verbindlichkeit als ein Telefonat. Hätten Sie noch einen abschließenden Tipp speziell für Führungskräfte im Vertrieb? Ich höre im Moment von vielen Vertriebsleitern, dass die Finanzchefs in den Unternehmen aus Kostengründen die Arbeitszeit der Verkäufer einschränken wollen. Das halte ich für keine gute Idee. Gerade jetzt gibt es wirklich viel zu tun – erst mussten sich alle digitalisieren und im Home-Office einrichten, jetzt kann man die Zeit nutzen, um wirklich produktiv und kreativ zu sein. www.franziskabrandtbiesler.ch
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